„Unglaublich – die Grenzen zwischen der BRD und DDR sind auf“
/ by malteserblog
Rund 50.000 DDR-Bürger flohen im Sommer 1989 über Ungarn in die BRD. Unter ihnen der damals 7-jährige Journalist und Blogger Airen und seine Eltern. Was die kleine Familie auf ihrer Flucht damals erlebte, hielten die Eltern von Airen in einem Fluchtalbum eindrucksvoll fest. Bis zum Tag des Mauerfalls, am 09. November, folgen insgesamt vier Teile der Fluchtgeschichte.
Teil 4:
Tag 35:
07.10.1989
Wir haben Brief von Christa bekommen, es herrscht große Freude. Sind am Nachmittag bei Familie Burkhart gewesen. Sind sehr erstaunt, wie locker sie sind und bieten uns Hilfe an. Mit großem Interesse verfolgen wir die Vorgänge in der DDR. Sind sehr froh, alles von der anderen Seite betrachten zu können.
Tag 36:
08.10.1989
Franz ist mit seiner Familie da. Es sind Demonstrationen in Leipzig, Dresden, Berlin und Potsdam, allerdings mit brutalem Polizeieinsatz!
Tag 37:
09.10.1989
70.000 Menschen demonstrieren in Leipzig.
Tag 38:
10.10.1989
Erste Gerüchte, dass Honecker abdanken muss.
Tag 39:
12.10.1989
Lutz hat Urlaub – bin glücklich. Haben am Abend schön mit Familie Albert gemeinsam gegessen.
Tag 40:
13.10.1989
Lutz kommt mit einer guten Nachricht nach Hause: Wir bekommen die Wohnung im Schloßberg! Ute und Dirk sind außerdem da.
Tag 41:
14.10.1989
Unterschreiben den Mietvertrag für die neue Wohnung und fahren mit Ute und Dirk nach Österreich. Schauen uns eine Wohnung in Meiderndorf an. Die Wohnung ist sehr schön, aber abgelegen.
Tag 42:
18.10.1989
Krenz wird als Honecker-Nachfolger eingesetzt.
Airen und seine Eltern.
Tag 43:
20.10.1989
Die Einstufung vom Arbeitsamt kommt – 154 DM pro Woche, ich bin schockiert! Habe außerdem einen Brief an Herrn Burghart fertig gemacht.
Tag 44:
22.10.1989
300.000 Menschen demonstrieren in Leipzig.
Tag 45:
26.10.1989
Habe mit Mutti gesprochen, Oma geht es nicht gut. Habe ein Paket abgeschickt und die Eltern haben kein Visum für Ungarn bekommen. Waren am 22.10. in Leipzig zur Demo. Wir sind sehr erstaunt, weil wir es ihnen nicht zugetraut hätten. Haben am Abend nochmal angerufen. Sollen uns an den Rat des Kreises wenden – das Reisegesetz gilt noch.
Tag 46:
27.10.1989
12.00 Uhr
Höre gerade Nachrichten. Die DDR hat eine Amnestie erlassen: Alle, die vor dem 27.10.1989 die DDR illegal verlassen haben, werden nicht mehr bestraft. Bin daraufhin ganz aufgeregt und rufe sofort Lutz an.
Besuchen Franz und haben dort noch eine Familie kennengelernt, die legal aus der DDR übergesiedelt ist. Das Auto war ein absoluter Fehlgriff: die Reifen und auch Wasser ist im Kofferraum. Franz sagt, dass er das Auto auch nur im dunkeln gesehen habe. Waren fix und fertig, als wir wieder zu Hause waren.
Tag 47:
02/ 03 .11.1989
Schauen uns Möbel an und haben mit Bonn gesprochen. Es ist nicht klar, ob wir mit er Amnestie auch aus der Staatsbürgerschaft entlassen sind.
Tag 48:
04.11.1989
Grenze von der ČSSR zur BRD wird aufgemacht. Ein Paket mit einem Mixer kommt an.
Tag 49:
05.11.1989
11.00 Uhr
Bis 11.00 Uhr sind schon 10.500 Menschen über die Grenze – was soll das noch werden?
Tag 50:
06.11.1989
Entwurf eines neuen Reisegesetzes.
Tag 51:
07.11.1989
Die Regierung der DDR tritt zurück und das Volk ist mit Entwurf des Reisegesetzes nicht einverstanden.
Airen im Bus unterwegs auf der Fluchtroute mit seinen Eltern.
Tag 52:
08.11.1989
Haben Möbel gekauft: Kinderzimmer für 2.009,-DM und Schlafstube für 2.909,-DM. 30.000 Menschen sind aus der DDR über die ČSSR in die Bundesrepublik gekommen. Die Situation der Unterbringung verschärft sich.
Tag 53:
09.11.1989
Unglaublich – die Grenzen zwischen BRD und DDR sind auf. Haben eine Küche für 3.600,-DM gekauft.
Tag 54:
11.11.1989
Wir hoffen, dass die Eltern kommen.
Tag 55:
12.11.1989
Noch keiner da, machen uns Sorgen. Mittags kommt folgendes Telegramm: „Kommen am 18. oder 19.11.89. Sind vorher bei Heppner. Vati und Mutti.“
Tag 56:
19.11.1989
12.30 Uhr
Die Eltern kommen, wir freuen uns sehr. Vati gefallen die Berge sehr gut. Meine Eltern bleiben bis zum 22.11.1989.
Tag 57:
26.11.1989
Andrea und Steffen kommen. Wir bekommen unser Eigentum wieder und Honeckers wird versiegelt. Ironie des Schicksals?
Tag 58:
04.12.1989
Ab 01.01.1990 entfällt für uns Bürger der Bundesrepublik die Visumspflicht sowie der Zwangsumtausch. Wir haben die Hoffnung, dass das Datum auf vor Weihnachten geändert wird.
Tag 59:
23.12.1989
18.00 Uhr
Wir fahren in die DDR. Sind um 18.00 an der Grenze. Können sofort einreisen. Uns empfangen Spruchbänder wie: „Herzlich Willkommen“ oder „Deutschland einig Vaterland“.
Tag 60:
30./ 31.12.1989
Räumen unsere unsere Wohnung aus.
Tag 61:
01.02.1990
Bärbel fängt in der Firma „Kathrein“ in der Buchhaltung an. Haben für unseren Sohn eine Kinderfrau gefunden. Er fühlt sich dort und in der Schule sehr wohl.
Spannende und turbulente Tage gehen für die kleine Familie zu Ende. Insgesamt 36.000 Ungarn-Urlauber aus der DDR erzwangen im August und September 1989 durch ihr Ausharren in der deutschen Botschaft in Budapest ihre Ausreise in die Bundesrepublik. Innerhalb kürzester Zeit bauten die Malteser ein Zeltlager auf und übernehmen ihre Versorgung und medizinische Betreuung.
Not erkennen und Nähe geben: Ist das zu schaffen? 80.000 ehren- und hauptamtliche Malteser in Deutschland geben darauf die Antwort, indem sie anpacken. Wir schaffen das, weil wir es können – und weil wir glauben!